Zu viele Versprechen, zu wenig Evidenz

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Heute möchten wir darüber reden, wie Entscheidungen für eine bestimmte Therapie oder Operation, z. B. bei Adipositas-PatientInnen, getroffen werden.

Ein Begriff, den ihr in diesem Zusammenhang immer mal wieder lesen werdet, ist «Evidenz» oder «evidenzbasierte Medizin». Darunter versteht man eine medizinische Versorgung, welche PatientInnen, die an einer bestimmten Erkrankung leiden, auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen bzw. Daten behandelt – Evidenz eben. Trotz der umfassenden wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem Gebiet der Adipositaschirurgie und der Veröffentlichung von zahlreichen Fachartikeln liegt uns bisher allerdings in vielen Fragen noch relativ wenig echte Evidenz vor.

Daher beobachten wir gerade in diesem Bereich, dass Entscheidungen für bestimmte Operationsverfahren häufig nicht evidenzbasiert sind, sondern vielmehr auf persönlichen Vorlieben von ChirurgInnen oder auch PatientInnen beruhen. Das ist dann eher «eminence-based» als «evidence-based» (oder: eminenzbasiert/evidenzbasiert). Man verspricht sich hier nur einen guten Effekt – genau weiss man es allerdings nicht.

Leider werden immer wieder neue Operationsverfahren im grossen Stil angewendet, ohne dass eine ausreichende Evidenz dafür vorliegt. Langfristige Konsequenzen und Effekte dieser Operationsmethoden sind nicht bekannt; Vergleichsuntersuchungen zu gut etablierten, also evidenzbasierten Operationstechniken wie dem Roux-Y-Magenbypass oder der Schlauchmagen-Operation liegen nicht vor. Neue Behandlungsoptionen suggerieren häufig, dass sie zu besseren Ergebnissen führen und oft scheinen die Wirtschafts- und Marketinginteressen der Spitäler, die ein neues Verfahren anbieten, hier grösser als das Interesse an evidenzbasierter Medizin.

Klar ist, dass sich die Adipositaschirurgie natürlich weiterentwickeln muss und somit neue Verfahren entstehen und bisher etablierte Operationstechniken möglicherweise auch ersetzen können. Dies sollte allerdings nur im Rahmen gut geführter, wissenschaftlich seriöser Vergleichsstudien erfolgen, sonst werden wir in vielen Bereichen keine ausreichende Evidenz erhalten, um Adipositas-Betroffenen mit bestem Wissen die optimale Therapie anzubieten. Es ist uns bewusst, dass die Durchführung dieser Studien aufwändig und zeitintensiv ist. Eine andere Möglichkeit gibt es aber nicht. Eine wichtige Rolle spielen sicherlich auch die Fachgesellschaften und die verschiedenen nationalen Register, in welche Untersuchungsdaten und Verlaufsbeobachtungen eingegeben werden. Diese sind enorm wichtig, da durch die hohe Zahl der so beobachteten Verläufe nach einer Operation Erkenntnisse über die Effektivität, langfristige Nebenwirkungen oder sonstige Auswirkungen auf Patienten gewonnen werden können. Diese Register funktionieren aber nur dann, wenn alle PatientInnen nach den Operationen die Nachsorgetermine wahrnehmen und den Zentren, in denen die Operationen durchgeführt wurden, Auskunft über ihr Befinden geben.

Zusammengefasst: Gute Nachsorge bedeutet gute Registerqualität und das bedeutet wiederum gute Evidenz, was letztendlich die Grundlage für eine bestmögliche Versorgung unserer Patienten ist.

Ein Beitrag von Herr PD Dr. med. Andreas Thalheimer – stv. Chefarzt Viszeralchirurgie. Spital Männedorf

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