Die Waage macht auch nach einer Operation keine Verlierer oder Gewinner
Immer mehr Adipositaspatienten und -patientinnen betrachten die Chirurgie als eine geeignete Option, das Gewicht zu reduzieren und die Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern.
Weltweit steigt die Zahl der bariatrischen bzw. metabolischen Eingriffe deutlich an und immer mehr Mediziner und Medizinerinnen – auch anderer Fachrichtungen – müssen einräumen, dass Schlauchmagen, Magenbypass und Co wirkungsvolle Therapieoptionen im Kampf gegen die Adipositaserkrankung darstellen.
War es bis vor wenigen Jahren häufig nur der Gewichtsverlust, der als Indikator für eine erfolgreiche Therapie gewertet wurde, so rückt immer mehr auch der therapeutische Nutzen in der Behandlung der sogenannten Folge- bzw. Begleiterkrankungen in den Fokus.
Zurecht, wie ich meine, denn die Remission von schweren Begleiterkrankungen verbessert die gesundheitliche Situation der betroffenen Patienten und Patientinnen und kann helfen die Lebensqualität deutlich zu steigern. Aber selbst wenn es nicht um die Remission unterschiedlichster Begleiterkrankungen geht, so können bereits ein paar Kilo weniger auf der Waage eine bedeutende Erleichterung für die Knochen und ein deutliches Plus an Bewegungsfähigkeit bewirken. Viele Adipositaspatienten und -patientinnen haben dies begriffen und sind dankbar für diesen wichtigen therapeutischen Nutzen!
Dennoch scheint es Adipositaspatienten und -patientinnen zu geben, die den Erfolg einer Therapie ausschließlich am erzielten Gewichtsverlust bemessen und die Qualität der Therapie, des Chirurgen oder Chirurgin und eines ganzen Adipositaszentrums an der Anzeige ihrer Waage festmachen.
• Ein verständliches Verhalten, wenn man bedenkt, wie stark das hohe Gewicht ihr Leben in der Vergangenheit beeinflusst und dem Körper geschadet hat!
• Ein unverständliches Verhalten, wenn wir uns auch vor Augen halten, wie lange der Zeitraum meist war, indem dieser Gewichtsanstieg zustande kam!
Wie ihr euch fühlt, sollte euch nicht die Anzeige der Waage vorgeben, sondern euer Körper und euer Geist!
Überzogene Erwartungen oder falsche Zielprioritäten erzeugen nicht selten Resignation!
Mich befremden diese Posts von Adipositaspatienten und -patientinnen, die immer neue Rekorde im Bereich der Gewichtsreduktion propagieren, oder in wöchentlichen Serien von immer neuen Bildern ihre Gewichtserfolge dokumentieren. Auch wenn sie für den Einzelnen eine hohe Bedeutung zu haben scheinen, sagen sie rein gar nichts über die Qualität der Therapie, eines Zentrums oder der eigenen Situation aus.
Um es auf den Punkt zu bringen:
• Wem es gelingt, jede kleine Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation als Erfolg zu betrachten, ist für mich ein Gewinner!
• Wem es gelingt, ein Verständnis zu entwickeln, dass imaginäre Gewichtsziele nichts mit dem eigentlichen Therapieziel zu tun haben, ist für mich ein Gewinner!
• Wer jedes Plus an gewonnener Lebensqualität zu schätzen weiß und bemüht ist, diese gewonnene Lebensqualität zu erhalten, ist für mich ein Gewinner!
• Wer seiner Verantwortung nach einem bariatrischen Eingriff gerecht wird, seine Nachsorgetermine zuverlässig wahrnimmt und die Nährstoff-Supplementierung beachtet, ist für mich ein Gewinner!
Ich persönlich würde mich freuen, wenn intensiver auch über die kleinen Glücksmomente und Erfolge berichtet würde und wir diese Situationen als das zu schätzen wüssten, was sie sind:
Kleine Schritte zurück in ein gesundes und lebenswerteres Leben!
Natürlich sollte es eine gewisse Bedeutung haben, das Gewicht so zu reduzieren, dass man sich persönlich und gesundheitlich besser fühlt und eventuell auch das Selbstwertgefühl steigt. Dennoch kann dies nicht durch die bloße Zahl der verlorenen Kilos geschehen, sondern durch den persönlichen und achtsamen Umgang mit sich selbst und einer bewussten Wahrnehmung!
Wie denkt ihr darüber? Wie immer freuen sich Prof. Dr. Marco Bueter und Faris Abu-Naaj über eure Erfahrungen, Sichtweisen und Meinungen!
Faris Abu-Naaj für Adipositas Zürich
Ich freue mich darüber, dass ich nun mehr laufen kann, ohne Rückenschmerzen und Schmerzmittel und nun wieder viel mehr am Leben teilnehmen kann. Für mich der beste Gewinn.
Ich habe durch Arthrose (Handballnachwirkungen) und die daraus resultierende Immobilität 60 kg zugenommen und konnte zuletzt nur noch 50 m laufen. Auch nach erfolgreichen Knie Tep’s OP’s in 2017 bekam ich das Gewicht nicht runter. Die Knie konnten es nicht tragen. Seit Februar 2020 habe ich den Sleeve. Nachdem das Gewicht purzelte kam die Bewegung zurück. Bis Oktober 2020 hatte ich minus 43 kg und seitdem halte ich mein Gewicht und bin jeden Tag bei ca 10-15 km (Arbeit, Garten und Hunderunden). Ich liebe es mich endlich wieder bewegen zu können, auch wenn ich immernoch 20 kg Übergewicht habe, gehe ich heute stolz und glücklich und vor allem schmerzfrei durch den Alltag.
Ich habe meine Ernährung aufgrund einer Prädiabetes-Diagnose umgestellt und seither 46 kg abgenommen. Heute bin ich für diese Diagnose dankbar. Durch meinen Weg durfte ich erkennen, wie wichtig es ist, gut zu sich selbst zu sein.
Von außen bekomme ich immer wieder gesagt, dass ich möglichst schnell viel abnehmen soll. Für mich ist bei diesem Weg mittlerweile aber am Allerwichtigsten, dass es mir und meinem Körper gut geht!
Mein Körper hat durch mich so viel leiden müssen und mich trotzdem immer unterstützt. Ich bin ihm dafür zutiefst dankbar. Mein früheres Verhalten kann ich damit nicht ungeschehen machen. Aber ich kann jetzt auf ihn aufpassen und dafür sorgen, dass es ihm gut geht.
Mein Übergewicht nicht mehr als Ausrede für alles nehmen zu können war / ist nicht immer einfach für mich. „Der mag mich nicht – sicher weil ich zu dick bin.“ Es hat gedauert bis es wirklich zu mir durch drang, dass mich halt einfach jemand nicht mag – warum auch immer – aber nicht wegen meines Körperumfangs. Sehr oft fällt mir auf, wie sehr ich mich selbst eingeschränkt hatte, mich limitiert hatte. Mit dem Gewichtsverlust ist nicht nur die körperliche Veränderung und Lebensqualität die man wiedergewinnt ein Thema, sondern auch die Verarbeitung der Lebenslüge die man sich selbst eingeredet hat „Dies/das geht nicht, wegen meines Gewichts…“. Einfach versuchen.. über den Schatten springen.. merken dass man es schafft – aber auch mal auf die Nase fallen DARF.