Selbstreflektion und Verhalten – bereits vor der Operation ein Thema mit hoher Priorität !

Im Bereich der Adipositastherapie scheinen viele von uns die Hoffnung ausschliesslich auf die Umsetzung einer bariatrischen Operation zu legen. Der Blick auf das eigene Verhalten oder die eigene Psyche scheinen unmittelbar vor einer Operation keine hohe Priorität zu haben. Aus meiner Sicht ein Fehler!

Vor mehr als fünfzehn Jahren ging es mir genauso: Mit über 200 Kilogramm und einer Reihe von Begleiterkrankungen war die bariatrische Chirurgie für mich der letzte Ausweg, um der lebensbedrohenden Krankheit wirksam und nachhaltig entgegenzutreten. Ich machte mir keine Gedanken darum, welchen Einfluss mein eigenes Verhalten und meine Psyche sowohl auf die Entstehung der Krankheit wie auch auf die erfolgreiche Therapie hat.

Heute noch fällt es mir schwer, alte Verhaltensmuster abzulegen oder positiv zu verändern. Häufig ertappe ich mich dabei, im Restaurant eine Vor- und Hauptspeise zu bestellen, obwohl ich weiss, dass ich mit nur einer Vorspeise oder einer kleinen Hauptspeise zufrieden sein könnte. Nach wie vor ertappe ich mich also dabei, dass ich Masse statt Klasse priorisiere, statt dem achtsamen Genuss den Vorzug zu geben! Auch reflektiere ich zu wenig meine eigene Handlungs- und auch Bewegungsweise und passe diese nicht meinen therapeutischen Zielen und der Sicherung der bereits erzielten Therapieerfolge an.

Warum ich dies hier schreibe?

Weil ich in meiner Arbeit als Leiter von Adipositas-Selbsthilfegruppen und einer der Administratoren der Facebook-Gruppe “Adipositas Chirurgie – Fragen und Antworten” täglich Adipositaspatienten begegne, denen es ähnlich zu gehen scheint wie mir. Und weil ich bei mir selbst viele Defizite erkannt habe (und noch erkenne), die ich bereits im Vorfeld hätte besser hinterfragen und lösen sollen!

Ich möchte euch dazu ermuntern, bereits vor der Umsetzung einer Operation das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und falsche Glaubenssätze abzulegen, damit ihr euer Verhalten konstruktiv den therapeutischen Zielen anpassen könnt.

Ich möchte einige Punkte nennen, die ihr für euch klären bzw. lösen könnt, bevor eine Schlauchmagen- oder Magenbypassoperation ansteht:

  • Hinterfragt, welche Verhaltens- und Denkweise – aber auch Erlebnisse oder die Erziehung – Einfluss auf die Entstehung oder den Fortschritt der Adipositas hat und ob ihr bereit seid, diese nachhaltig zu verändern.
  • Sprecht mit Freunden, Bekannten, Verwandten oder Partnern, wie sie euch wahrnehmen und welche negativen bzw. positiven Verhaltenseigenschaften sie bei euch erkennen. Stellt euch konstruktiver Kritik.
  • Fragt euch, ob ihr langfristig bereit seid, aktiv die Mediziner und Therapeuten dabei zu unterstützen, euren Therapieweg zum Erfolgsweg zu gestalten. Ob ihr motiviert seid, Vor- und Nachsorgetermine zuverlässig wahrzunehmen. Ob ihr bereit seid, Therapieempfehlungen engagiert umzusetzen und gewissenhaft die häufig unterschätzte Supplementierung einzuhalten.
  • Legt fest, WAS oder WER euch helfen kann, mit Rückschlägen oder Phasen der Stagnation positiv umzugehen. Welche Strategien könnten euch helfen, mangelnder Motivation wirksam zu begegnen?
  • Definiert für euch klare und individuelle Therapieziele und setzt euch nicht bereits vor der Operation durch zu hohe Ziele unter Druck. Plant realistische und langfristige Ziele.
  • Legt bereits im Vorfeld fest, welches Netzwerk von Therapeuten und Medizinern euch auch nach der Operation begleitet und hütet euch vor dem Satz: “Erst mal die Operation, dann sehen wir weiter!“

Heute glaube ich, dass ich es ohne die Hilfe der Adipositaschirurgie nicht geschafft hätte, mein Körpergewicht nachhaltig und deutlich zu verringern und meine Gesundheitssituation zu verbessern. Hier mein Appell an euch:

Versteht die bariatrische Chirurgie nie als Selbstläufer, sondern als wirksame und therapeutische Unterstützung!

 Manchmal ist es sinnvoll, mit Hilfe von Psychologen oder Verhaltenstherapeuten alte Strukturen oder Verhaltensweisen zu ändern, bevor ihr euch für die Operation entscheidet!

Faris Abu-Naaj für Adipositas Zürich

2 Kommentare
  1. Sandra Bruns
    Sandra Bruns sagte:

    Guter Ansatz, aber nach meinen Erfahrungen in der Realität unrealistisch. Zum Einen wissen viele Betroffene im Vorfeld nicht welche Ärzte, Therapeuten usw. sie hinterher benötigen, geschweige denn haben sie Probleme diese zu finden.Die meisten Betroffenen erfahren erst im Laufe der Zeit, welche Hilfe sie noch benötigen, und dann müssen sie sich auf die Suche machen.
    Es wäre natürlich wünschenswert das alles schon im Vorfeld bedacht wird, aber nach meinen Erfahrungen ist es zumindest in unserer Region nicht realistisch.

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    • Redaktion
      Redaktion sagte:

      Sicher ist es für viele betroffene Patienten nicht immer leicht und alle Informationen vor einer OP zu erhalten ist wirklich schwierig, jedoch gibt es hier in der Schweiz auch niedergelassene Kollegen die sich auf die Vor und Nachbetreuung der Patienten spezialisiert haben.Danke für Deinen Kommentar und die dargestellte Sichtweise.

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